Digitale Helfer in der Praxis: Künstliche Intelligenz statt Bandansage

Digitale Helfer in der Praxis: Künstliche Intelligenz statt Bandansage

Montagmorgen 8 Uhr: An der Anmeldung warten fünf Patienten, das Telefon steht nicht still und die Sprechstundenhilfe hat alle Hände voll zu tun. Herr Müller braucht ein neues Rezept und Frau Schröder dringend einen Sprechstundentermin für ihre kleine Tochter. Die Situation kommt Ihnen bekannt vor?

Das Berliner Startup Aaron.ai verspricht die Lösung: Die Steuerung von Patientenanfragen mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI). „Wenn das Praxispersonal eingehende Anrufe gerade nicht entgegennehmen kann, übernimmt der digitale Assistent. Die Anwendung erkennt das Anliegen der Patienten in einem freien Dialog und erfragt alle notwendigen Informationen – ganz selbständig und ohne die Unterstützung der Medizinischen Fachangestellten“, erklärt uns Richard von Schaewen, einer der Geschäftsführer von Aaron.ai. Das junge Unternehmen zählte bereits 2018 zu den Gewinnern des Ideenwettbewerbs „Zukunftspraxis“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Doch wie sieht der Praxisalltag mit dem digitalen Assistenten aus? Wie wird das Praxisteam unterstützt? Und vor allem: Wie reagieren die Patienten, wenn sie nicht von einem Menschen, sondern von einer KI am Telefon begrüßt werden? Diesen Fragen sind wir im Gespräch mit zwei Heilberuflern nachgegangen, die die Anwendung bereits in ihrer Praxis nutzen.

Die Entscheidung für digitale Helfer hat vielfältige Gründe

Zwar öffnen sich laut Praxisbarometer der KBV immer mehr Heilberufler für die Digitalisierung des Gesundheitswesens, dennoch fürchten viele mögliche Sicherheitslücken, ein unzureichendes Kosten-Nutzen-Verhältnis oder einen hohen Umstellungsaufwand. Aus diesem Grund interessieren uns die Erfahrungen und Hintergründe, die dazu geführt haben, dass sich der Mediziner Dr. med. Davud Faghih-Zadeh und die Zahnärztin Dr. med. dent. Stephanie Wodianka für den digitalen Assistenten entschieden haben:

Dr. med. Davud Faghih-Zadeh ist niedergelassener Allgemeinmediziner im Süden von Hessen, genauer im Main-Kinzig-Kreis. „Vor einigen Jahren hatte ich das Glück, einen jungen Arzt als Weiterbildungsassistenten zu haben, mit dem ich mich sehr gut verstand. Gleichzeitig wurde die Versorgung auf dem Land immer schlechter und wir wollten etwas dagegen unternehmen. Mittlerweile haben wir in einem Radius von circa 50 Kilometern vier Standorte, die alle miteinander vernetzt sind. Für eine Hausarztpraxis besitzen wir relativ viele Patienten – ungefähr 6.000 und die Tendenz ist klar steigend. Aus diesem Grund ist es für uns sehr wichtig auch organisatorisch so aufgestellt zu sein, dass wir eine gute Medizin leisten können und dabei nicht ständig überarbeitet sind. Sinnvolle Technik spielt dabei aus unserer Sicht eine große Rolle“, erzählt uns der Humanmediziner im Interview.

„Dass ich den Telefonassistenten in meiner Praxis einsetze, war mehr oder weniger Zufall. Ich habe Aaron.ai bei einer niedergelassenen Kollegin gesehen, sie war total begeistert. Als sie mir die Anwendung zeigte, habe ich die Vorteile selbst sofort erkannt. Aus meiner Sicht sind wir organisatorisch in vielen Bereichen bereits gut aufgestellt, aber das Telefon und die Qualität, Telefonanrufe entgegenzunehmen, fiel von unserem Anspruch, den wir gegenüber anderen Bereichen haben, deutlich ab. Wir sind zwar eine Terminpraxis und verfügen über ein gut funktionierendes Terminsystem, aber der Faktor Telefon ist zeitweise unberechenbar. Letztendlich klingelt es immer im Bereich der Anmeldung. Wenn dann doch mal fünf Patienten gleichzeitig dort stehen, ist es immer schwierig einzuschätzen, ob der Anruf gerade wichtig ist oder noch etwas warten kann. Häufig geht man dann ans Telefon, weil man denkt es geht schnell. Am anderen Ende der Leitung möchte eine ältere Patientin zehn Rezepte bestellen und der ganze Vorgang nimmt zehn Minuten in Anspruch. Das ist ein absoluter Stressfaktor, der sich durch Aaron.ai komplett in Luft auflöst“, berichtet der Arzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Gesundheit und Prävention.

Dr. med. dent. Stephanie Wodianka ist Fachzahnärztin für Kieferorthopädie und führt eine Praxis für Kinder und Jugendliche in Hamburg. „Bei uns war der auslösende Faktor Corona. In der Zeit, in der unsere Mitarbeiter aus dem Home Office arbeiteten und ihre Kinder selbst beschulen mussten, waren wir nicht mehr in der Lage, wie gewohnt für unsere Patienten erreichbar zu sein. Es musste eine schnelle Lösung her, deshalb dauerte es keine zwei Tage, dann war Aaron.ai unser neuer Mitarbeiter. Ab dieser Sekunde habe ich den Anrufbeantworter abgeschafft“, berichtet die Hamburgerin.

„Wir entwickeln selbst eine cloud-basierte Praxismanagement-Software für den ärztlichen und zahnärztlichen Markt namens medondo. Mit Hilfe des medondo-Patientenportals kann die Patienten-Arzt-Kommunikation, zum Beispiel über einen datengeschützten Austausch von Dokumenten, deutlich vereinfacht werden. Zusammenfassend: Ich habe einfach Spaß an digitalen Themen und in einer Praxis für Kinder und Jugendliche werden moderne Prozesse und Kommunikationswege inzwischen absolut erwartet.“

Installieren & loslegen – So nimmt der digitale Assistent Anrufe entgegen

Zu Beginn fragt Aaron.ai gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSVGO) nach dem Einverständnis zur Aufzeichnung des Telefonats. Im freien Dialog erkennt der Assistent das Anliegen des Patienten und erfragt die notwendigen Informationen, die das Praxisteam zur Terminvereinbarung oder Rezeptausstellung benötigt. Das Team kann in Echtzeit alle Anrufe einsehen und per SMS oder Rückruf direkt reagieren.
„Der Vorteil des Systems ist, dass der Patient die Praxis rund um die Uhr erreicht und der Grund des Anrufs in Textform zeitgleich auf dem Monitor erscheint. Die Helferin kann also sehen, ob es sich um einen dringenden Anruf handelt, der direkt bearbeitet werden muss oder um eine Rezeptbestellung, die noch etwas warten kann. Wir erhalten so die Chance Prioritäten zu setzen und können die Bearbeitung der Anrufe auf die Zeiten verschieben, in denen die Anmeldung nicht so voll ist“, erklärt Dr. Faghih-Zadeh.

„Die Patienten erreichen uns jetzt durchgängig und wir rufen immer alle Patienten zurück. Früher haben wir natürlich nur diejenigen zurückgerufen, die uns eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterließen. Jetzt sind alle Nachrichten der Patienten für uns übersichtlich in Textform aufgelistet “, ergänzt Dr. Wodianka. „Die Installation ging sehr schnell. Insgesamt waren es zwei oder drei kurze Telefonate, während ich mit meinen Mitarbeitern hauptsächlich diskutiert habe, ob wir uns für eine männliche oder weibliche Stimme entscheiden“.

Dr. Faghih-Zadeh berichtet ein ähnliches Vorgehen aus seiner Hausarztpraxis: „Ich musste eigentlich gar keine großartige Einführung vollziehen. Ich habe meinen Helferinnen nur gesagt, dass wir ein neues System installiert haben und dieses erstmal ohne Schulung ausprobieren. Uns wurde angeboten, nach einer Woche im laufenden Betrieb eine Nachschulung für mögliche Fragen durchzuführen. Das System hat allerdings sofort funktioniert und sogar ich habe verstanden, wie es sich aufrufen lässt.“

Patienten proaktiv informieren oder einfach ausprobieren?

Aus Umfragen der apoBank wissen wir: Patienten wünschen einen einfachen und schnellen Austausch mit ihrem Arzt. Diese Art der Kommunikation sind wir aus anderen Lebensbereichen gewöhnt, dementsprechend fordern wir sie nun auch im Gesundheitswesen aktiv ein. Doch wie reagiert der Patient wirklich, wenn sein Arzt neue Wege geht und ihn der digitale Assistent am Praxistelefon begrüßt?

„Man muss die Patienten schon ein bisschen daran gewöhnen, daher war die Vorankündigung aus meiner Sicht ganz wichtig. Es empfiehlt sich gegenüber dem Patienten zu betonen, dass man keine Warteschleife mehr hat und in der Lage ist, jeden Kontakt zurückzurufen. Ich informierte meine Patienten per E-Mail, dass es jetzt die Möglichkeit gibt, Sprachnachrichten zu hinterlassen. Natürlich freuen sie sich auch, wenn jemand persönlich ans Telefon geht – das handhaben wir auch weiterhin so, wenn es die Zeit zulässt“, berichtet Dr. Wodianka aus ihrem Praxisalltag.

Dr. Faghih-Zadeh lächelt und erklärt uns: „Wenn ich ganz ehrlich bin, bin ich da ein bisschen amateurhaft vorgegangen. Normalerweise sollte man die Patienten schon informieren, aber es hat sich ja letztendlich nichts geändert. Sie wählen die normale Telefonnummer und wenn es das Arbeitspensum erlaubt, gehen unsere Helferinnen auch persönlich an das Telefon. Die Umschaltung auf den Assistenten lässt sich beliebig einstellen, bei uns nach dem dritten oder vierten Klingeln. Wenn Aaron.ai sich meldet, war das natürlich für viele Patienten eine Neuerung, aber die Quote derer, die es nicht gut fanden, war sehr niedrig. Nach diesem Quickstart haben wir unsere Patienten relativ schnell über Flyer informiert. Das hätten wir sicherlich früher vornehmen können, aber ich war zu ungeduldig: Nachdem ich das System bei meiner Kollegin gesehen hatte, wollte ich es unbedingt am nächsten Tag besitzen.“

Aaron.ai – neuer Mitarbeiter mit unbefristetem Arbeitsvertrag?

Bei Umstellungs- und Digitalisierungsprozessen steckt der Teufel manchmal im Detail. Wie zufrieden sind unsere beiden Interviewpartner mit der digitalen Anwendung und welche Tipps geben sie ihren Kolleginnen und Kollegen für die Integration smarter Praxisanwendungen?

„Unser Ziel war es, das System so lange zu testen, bis jeder Mitarbeiter genügend Zeit hatte, damit zu arbeiten. Jetzt haben wir für uns die Entscheidung getroffen, dass wir Aaron.ai an all unseren Standorten einführen. Für uns beinhaltet das den Vorteil, dass wir das Abarbeiten der Telefonate zentralisieren und eine Mitarbeiterin – vielleicht sogar im Home Office – die Telefonate beantworten und gleichzeitig Termine für alle Standorte vergeben kann. Bei uns gibt es niemanden mehr, der sich das alte System zurückwünscht“, stellt Dr. Faghih-Zadeh fest. „Natürlich sind gewisse Dinge umzustrukturieren – es nützt nichts, wenn die Patienten anrufen und man erst abends auf die Oberfläche schaut. Spätestens nach einer Stunde empfiehlt es sich nachzuschauen, ob akute Termine eingegangen sind, damit der Patient noch für denselben Tag einbestellt werden kann. Insgesamt ist das Telefon ein wichtiger Baustein, egal ob Heilberufler bereits eine sehr strukturierte Praxis besitzen oder noch am Anfang der Organisation von Patientenströmen stehen. Von Arzt zu Arzt würde ich sagen: Die Vorteile sind selbsterklärend, wichtig ist: einfach offen zu sein“.

Auch Dr. Wodianka ist ähnlicher Meinung: „Neugierig sein und einfach ausprobieren! Vor allem keine Angst vor der älteren Generation haben – Oma und Opa besitzen meistens auch ein iPad, schon allein um die Enkel zu sehen. Auch eine Sprachnachricht wie bei WhatsApp kennt inzwischen jeder. Es kommt lediglich darauf an, dass die Steuerungstexte von Aaron.ai möglichst einfach und leicht verständlich formuliert sind.“

Quelle: https://www.apobank.de/wissen-news/kompetenzzentrum-apohealth/news-infos/digitaler-telefonassistent-erfahrungsbericht-heilberufler

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